Nazad
Ambivalenzen/Kontroversen Organisation von Widerstand Repression

Verräter

Wer galt im Zweiten Weltkrieg als Verräter? In Frankreich, Jugoslawien und anderen besetzten Ländern Europas betrachteten Widerstandsgruppen alle als Verräter, die mit den deutschen oder italienischen Besatzern kollaborierten ‒ Verräter am eigenen Volk, Land oder Nation. Ein Symbol dafür wurde Vidkun Quisling, der Chef des Kollaborationsregimes in Norwegen: Ab 1940 galt der Begriff „Quisling“ den Gegnern Nazideutschlands in vielen europäischen Ländern als Synonym für „Verräter“.
In Nazideutschland selbst wurde der Begriff anders verwendet: Hier gebrauchte es das Regime für Deutsche, die Widerstand leisteten ‒ sie wurden als „Vaterlandsverräter“ bezeichnet. Dies war vor allem während des Krieges der Fall, wo Widerstand, etwa das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, als heimtückischer Dolchstoß in den Rücken der kämpfenden Nation angesehen wurde und die daran beteiligten Personen wegen „Hochverrats“ vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, oft zum Tode.
Allen Widerstandsgruppen, ob in Deutschland oder in den besetzten Ländern, war gemeinsam, dass sie sich ständig mit dem Problem von Verrätern in ihren eigenen Reihen konfrontiert sahen. NS-Behörden und Kollaborationsregime versuchten, Widerstandsgruppen zu unterwandern, was auf unterschiedliche Weise geschehen konnte: Eine Person, die für das Regime arbeitete, versuchte, Teil einer Widerstandsgruppe zu werden; oder eine Person, die bereits Mitglied einer Widerstandsgruppe war, wurde zu einem geheimen Gestapo-Agenten „gemacht“ ‒ aus materiellen Gründen oder durch Druck, nachdem man sie verhaftet und gefoltert hatte, oder nach Drohungen gegen Familienmitglieder.
In einer dramatischen Episode verhaftete die Gestapo einen kommunistischen Sympathisanten, Smail Ibrahimbegović, in seiner Heimatstadt in Westbosnien. Es gelang ihm, sich der Partisanenbewegung anzuschließen und als Geheimdienstoffizier aufzusteigen, wo er Spionageabwehr betrieb und kommunistische Spitzel im Staatsapparat ausfindig machte. Er wurde zufällig gefasst, als eine Gruppe von Kindern eine verwundete Brieftaube mit einer kleinen Karte mit Partisanenstellungen fand. Die Untersuchung des Falls ergab, dass die Daten nur von Ibrahimbegović stammen konnten. Nachdem er alles zugegeben hatte, wurde er standrechtlich erschossen.
Die Arbeit von Verrätern hatte oft dramatische Folgen: In Frankreich wurde der nach de Gaulle wichtigste Führer des vereinigten Widerstands, Jean Moulin, am 21. Juni 1943 mit anderen Widerstandsführern bei einem geheimen Treffen in der kleinen Stadt Caluire verhaftet. Bis heute gibt es heftige Debatten darüber, welches Mitglied der Widerstandsbewegung die Gestapo über dieses geheime Treffen informierte und was die Gründe dafür waren.

 

Nicolas Moll & Vladan Vukliš

Quellen / Weitere Informationen
  • Patrick Marnham, War in the Shadows: Resistance, Deception and Betrayal in Occupied France (Oneworld Publications, 2020).
  • Fabrice Grenard, La Traque des résistants, Paris: éd. Tallandier/ Ministère des armées, 2021.
  • Louis Eltscher, Traitors or Patriots? A Story of the German Anti-Nazi Resistance, 2019
  • Milovan Dželebdžić, Obaveštajna služba u Narodnooslobodilačkom ratu 1941–1945 (Beograd: Vojnoistorijski institut, 1987)
Video

"Betrayal in Occupied France: Who killed Jean Moulin, leader of the French Resistance?"

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