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Erinnerung Symbole Transnationaler Widerstand

Das Lothringerkreuz

Jede große politische Bewegung des 20. Jahrhunderts schuf sich ihr eigenes Symbol. Für die Arbeiterbewegung war es die rote Fahne, für den Kommunismus Hammer und Sichel, für den Nationalsozialismus das Hakenkreuz und für den italienischen Faschismus die „Fasces“: Immer handelte es sich um ein sofort erkennbares Symbol, das die ideologische Grundausrichtung der Bewegungen zum Ausdruck bringen sollte und mit dem sich ihre Anhänger von ihren Gegnern unterscheiden konnten.

Das „Freie Frankreich“, die zunächst sehr kleine Widerstandsbewegung, die Charles de Gaulle am 18. Juni 1940 im Londoner Exil gegründet hatte, brauchte nur wenige Wochen, um ihr eigenes Symbol zu etablieren. Admiral Muselier ließ die Schiffe der Marine des „Freien Frankreich“ mit dem Lothringerkreuz schmücken, um sie von den Schiffen des kollaborierenden Vichy-Frankreichs zu unterscheiden. Das Lothringerkreuz ist ein Patriarchenkreuz mit zwei Balken, von denen der obere kürzer ist als der untere. Es gelangte durch die mittelalterlichen Kreuzzüge nach Frankreich und wurde dank des Hauses Anjou zum Symbol Lothringens, einer Region im Nordosten Frankreichs mit großer politischer Bedeutung. Von 1871 bis 1918 wurde Ostlothringen von Deutschland annektiert, und das Kreuz symbolisierte den Willen zum Wiederaufbau einer geteilten und gedemütigten Region. Im Jahr 1940 annektierte Deutschland erneut Ostlothringen und ließ damit das Trauma von 1871 wieder aufleben.

Unter diesen Vorzeichen weckte das Lothringerkreuz verschiedene Assoziationen und Erinnerungen, als de Gaulles Widerstandsbewegung es zu ihrem Symbol auserkor: Es erinnerte an die Kreuzzüge und suggerierte, dass der Kampf gegen den Nationalsozialismus einen kreuzzugsähnlichen Charakter hatte; es war ein christliches Symbol im Gegensatz zum heidnischen Hakenkreuz; es erinnerte an den unbeugsamen französischen Patriotismus während der Annexion Lothringens. Dieses Symbol hatte eine sehr erfolgreiche Karriere: Es wurde auf allen Publikationen, Flugblättern und Plakaten des „Freien Frankreichs“ abgebildet. Im Landesinneren, wo de Gaulle und seine Bewegung zunächst weitgehend unbekannt waren, fand es immer weitere Verbreitung und diente als Identifikationssymbol für Widerstandskämpfer verschiedener politischer Richtungen. Mit der fortschreitenden Vereinigung der Résistance versammelten sich 1943 schließlich alle französischen Kräfte, die sich gegen die Besatzung und Kollaboration wandten, unter dem Zeichen des Lothringerkreuzes.

Das Lothringerkreuz war auch international als einheitliches Symbol der französischen Résistance bekannt. Als solches wurde es beispielsweise 1942 in dem amerikanischen Spielfilm Casablanca verwendet, in dem die Widerstandskämpfer das Lothringerkreuz benutzen, um sich gegenseitig zu erkennen. Am Ende des Krieges war es als nationales Symbol Frankreichs praktisch gleichrangig mit der revolutionären „Marianne“ und der Trikolore, der blau-weiss-roten Fahne. Sie wurde zum beliebtesten Symbol auf Denkmälern zum Gedenken an den Widerstand und seine Leitfigur Charles de Gaulle. So kann man in Colombey-les-deux-Eglises, dem Ort, an dem er lebte und starb, schon von weitem ein 44 Meter hohes Lothringer Kreuz sehen, das 1972 errichtet wurde.

 

Matthias Waechter

Quellen / Weiterführende Literatur

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