Am 28. August 1944 schrieb die jugoslawische Widerstandskämpferin Hanna Lévy-Hass im KZ Bergen-Belsen: „Ich habe die Aufgabe übernommen, mich um die Kinder zu kümmern. In unserer Baracke sind 110 Kinder verschiedenen Alters, von dreijährigen Kleinkindern bis zu 14- und 15-jährigen Jungen und Mädchen.“ Die gelernte Pädagogin beschreibt die Schwierigkeiten, mit denen diese illegale „Schule“ im Lager konfrontiert ist: „Ohne irgendein Buch zu arbeiten, ist nicht leicht. […] Die Kinder sind wild, enthemmt, ausgehungert. Sie fühlen, daß ihr Leben eine außerordentliche Wendung genommen hat, und sie reagieren darauf instinktiv und brutal.“
Solche heimlichen „Schulen“ gab es in mehreren Konzentrationslagern. Häftlinge versuchten auf diese Weise einander zu helfen und in all der Gewalt und dem Elend einen Alltag herzustellen.
Das Tagebuch von Hanna Lévy-Hass dokumentiert eindringlich die Situation vieler Häftlinge im Lager. Zugleich ist es selbst Ausdruck und Produkt von Widerstand. Schreibmaterial musste heimlich organisiert und das Geschriebene irgendwo versteckt werden. Hanna Lévy-Hass gelang es trotz dieser Schwierigkeiten, zwischen 1944 und 1945 im KZ Bergen-Belsen ihre Eindrücke festzuhalten.
Geboren am 18. März 1913 in Sarajevo, wächst Hanna Lévy-Hass in einer jüdisch-jugoslawischen Familie auf. Sie studiert romanische Sprachen in Belgrad und Paris und unterrichtet anschließend an einem Gymnasium in Jugoslawien. 1941 verliert sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihre Anstellung. Sie schließt sich der kommunistischen Partei an und beteiligt sich am Widerstand der jugoslawischen Partisanen. Als die Deutschen im Juli 1943 Montenegro besetzen und von dort Jüdinnen und Juden deportieren, ist auch Hanna Lévy-Hass nicht mehr sicher. Sie wird im Februar 1944 von der Gestapo festgenommen und in das KZ Bergen-Belsen gebracht. Zu diesem Zeitpunkt ist das Lager bereits überfüllt. Die SS nutzt es in den folgenden Monaten als „Sterbelager“. Hierhin kommen Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern, die zu krank und zu schwach zum Arbeiten sind. Bis zur Befreiung im April 1945 sterben in Bergen-Belsen mehr als 50.000 Menschen, die meisten durch Hunger oder an Krankheiten.
Hanna Lévy-Hass überlebt. Sie kehrt zunächst nach Jugoslawien zurück, wandert dann aber 1948 in den neu gegründeten Staat Israel aus, wo sie bis zu ihrem Tod 2001 lebt. Auch hier ist sie politisch aktiv. Ihr Tagebuch aus dem KZ Bergen-Belsen erscheint 1979 erstmals als Buch in Deutschland. Sie widmet es ihrer 1958 in Israel geborenen Tochter Amira Hass, die für spätere Ausgaben des Tagebuchs ihrer Mutter ein Vorwort schrieb
Dagmar Lieske