In den späten 2000er Jahren prägten französische Historiker den Neologismus „vichysto-résistant“. Dieser zweideutige Begriff war zuvor undenkbar, da Frankreich während des Zweiten Weltkriegs als in zwei unversöhnliche Lager gespalten galt: auf der einen Seite die „collabos“, die Kollaborateure, diejenigen, die dem Vichy-Regime angehörten oder es unterstützten, und auf der anderen Seite die „résistants“, die Widerstandskämpfer, diejenigen, die gegen Nazideutschland und das kollaborierende Vichy-Regime unter der Führung von Maréchal Philippe Pétain kämpften. Zahlreiche Untersuchungen und Zeugenaussagen haben diese binäre Sichtweise jedoch nuanciert. Die „Vichysto-Résistants“ waren diejenigen, die die Vichy-Regierung unterstützten, sich aber auch in der Résistance engagierten.
Diese ambivalenten Protagonisten waren häufig antideutsch eingestellt, hatten sich aber dem Vichy-Regime angeschlossen, meist aus Bewunderung für Pétain, den legendären Befehlshaber der französischen Armee im Ersten Weltkrieg. Anfangs glaubten sie, dass das Vichy-Regime die französischen Interessen verteidigen würde, doch später erkannten sie, dass davon keine Rede sein konnte. Und so entwickelten sich auch in den Reihen des Vichy-Regimes Gruppen von Widerstandskämpfern. Lange Zeit erschien dieser Gedanke unvorstellbar und sogar skandalös. Eine wichtige Wegmarke stellte 1994 die Veröffentlichung des Buchs Une jeunesse française (Eine französische Jugend) des Journalisten Pierre Péan dar, durch das die Vichy-Vergangenheit von Präsident François Mitterrand ans Licht kam. Der junge Mitterrand, der 1940 an der Front verwundet und dann von den Deutschen gefangen genommen wurde, entkam 1941 aus einem deutschen Gefangenenlager und arbeitete anschließend als Beamter für die Vichy-Regierung. Als Angestellter des Generalkommissariats für die Wiedereingliederung von Kriegsgefangenen organisierte er geheime Fluchtwege und gefälschte Papiere, um in Deutschland inhaftierte Franzosen zurückzuholen. Im Januar 1943 verließ er die Vichy-Verwaltung und schloss sich (unter dem Pseudonym François Morland) dem Widerstandsnetz Rassemblement national des prisonniers de guerre (Nationale Versammlung der Kriegsgefangenen, RNPG) an, einem Widerstandsnetz, das hauptsächlich aus Personen bestand, die Pétain bewunderten.
Als das Buche „Une jeunesse francaise“ veröffentlicht wurde, leugnete Mitterand seine Verbindungen zu Vichy nicht, sondern nutzte sie, um zu demonstrieren, wie wirksam seine geheimen Aktionen gewesen seien. Auch wenn der Begriff „vichysto-résistant“ spezifisch französisch ist, so ist das Phänomen, das er beschreibt, auch im besetzten Jugoslawien und anderen europäischen Ländern während des Zweiten Weltkriegs anzutreffen: Personen, die Teil des Kollaborationsregimes waren, aber gleichzeitig den Widerstand unterstützten, aus unterschiedlichen Beweggründen. Die unterstreicht, dass die Grenzen zwischen Kollaboration und Widerstand oft fließend waren.
Yvan Gastaut