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Jacques Pâris de Bollardière, der rebellische General

Jacques Pâris de Bollardière (1907-1986) stammte aus einer Offiziersfamilie und setzte damit eine Familientradition fort, als er sich für eine militärische Laufbahn entschied. Er unterschied sich jedoch von anderen Offizieren, da er kein Blatt vor den Mund nahm und ihm erteilte Befehle mehrmals ablehnte.
Im Juni 1940 will er sich als Hauptmann der französischen Armee nicht mit der französischen Niederlage abfinden und beschliesst nach London zu gehen, noch vor dem Aufruf von General de Gaulle am 18. Juni. Er engagiert sich im französischen Widerstand, wofür er von einem Gericht der Vichy-Regierung zum Tode verurteilt wurde. Er kämpft mit den Freien Französischen Truppen in Afrika und springt 1944 mit dem Fallschirm über Frankreich ab, wo er anschließend den Maquis in den Ardennen im Nordosten Frankreichs anführt. Im Jahr 1945 nimmt er an der Schlacht um Holland teil, die die deutsche Niederlage beschleunigt. Als das Dritte Reich kapituliert, ist er einer der höchstdekorierten Franzosen des Zweiten Weltkriegs: Er wurde unter anderem zum „Compagnon de la Libération“ und zum Großoffizier der Ehrenlegion ernannt.
Im Jahr 1946 kommandiert er das 1. Fallschirmjägerbataillon der französischen Armee in Indochina und im Juli 1956 zwei Brigaden in Algerien, wo zwei Jahre zuvor der Unabhängigkeitskrieg begonnen hatte. Im Dezember 1956 wird er zum Brigadegeneral befördert. Im Kampf gegen die algerische „Nationale Befreiungsfront“ (Front de Libération Nationale ‒ FLN) erlauben die französischen militärischen und politischen Behörden den Einsatz von Folter. Jacques Pâris de Bollardière gerät erneut in Konflikt mit der Militärhierarchie. Er weigert sich nicht nur, Gefangene foltern zu lassen, sondern bittet auch im März 1957 darum, von seinem Kommando entbunden zu werden. In einem Brief, der am 29. März 1957 in der Zeitung L’Express veröffentlicht wird, prangert er die Anwendung von Folter an und verurteilt sie öffentlich. Dies verdeutlicht den tiefen Graben unter den ehemaligen Widerstandskämpfern im Hinblick auf den Algerienkrieg: Einige meinten, sie könnten nicht ähnliche Methoden anwenden, wie sie die Gestapo während der deutschen Besatzung gegen sie eingesetzt hatte. Andere sahen darin keinen Widerspruch, wie zum Beispiel Hauptmann Jacques Massu, ebenfalls ein “Compagnon de la Libération” [link to story 49], der an der Spitze der 10. Fallschirmdivision in Algerien Gefangene folterte und später öffentlich die Anwendung von Folter rechtfertigte. In der französischen Armee war Bollardieres mutige Tat eine Ausnahme; er wurde daraufhin vom Kriegsministerium sanktioniert und zu 60 Tagen Haft in einer Militärfestung verurteilt. Er verließ die Armee schließlich im April 1961. Als Mann mit Überzeugungen, die er mit seiner Frau Simone teilte, wurde er in den 1970er Jahren in Frankreich zu einer der führenden Persönlichkeiten der “Bewegung für eine gewaltfreie Alternative” (Mouvement pour une Alternative Non-Violente – MAN) und beteiligte sich beispielsweise an den Protesten gegen die französischen Atombombenversuche in Polynesien.
Bollardieres Ungehorsam ist Ausdruck einer klaren Haltung: im Kampf müssen ethische Erwägungen an erster Stelle stehen, und ein Sieg darf nicht um den Preis der Erniedrigung des Gegners erfolgen.

 

Marie-Édith Agostini

Quellen / Weitere Informationen:

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