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Matthias Sindelar, der Fußballer, der Nein zu den Nazis sagte

Der aus der heutigen Tschechischen Republik stammende Matej Sindelar (er wurde 1903 in Kozlau in Österreich-Ungarn geboren) emigrierte als Kind mit seinen Eltern und seinen drei Schwestern nach Wien in den Arbeiterbezirk Favoriten. Sein Vater war Maurer und seine Mutter Wäscherin. In Wien wird sein Vorname zu Matthias germanisiert ; er liebt Fussball und zeigt sein Talent zunächst auf der Strasse, und muss zugleich mehrere kleine Berufe ausüben, nachdem sein Vater im Ersten Weltkrieg als Soldat der deutschen Armee an der Front gefallen war. Sein namenloses Schicksal ändert sich, als er von den Verantwortlichen von Hertha Wien wegen seiner Fähigkeiten am Ball entdeckt wird. Zunächst spielt er mehrere Jahre in den Jugendmannschaften des Vereins, bevor er 1922 einen Profivertrag unterschreibt. Seinen wenig athletischen Körperbau macht er durch seine Dribbelkünste und seine Spielübersicht wett. Wirklich bekannt, auch international, wird er ab 1924 bei einem anderen Wiener Verein, der Austria. Fünfzehn Jahre lang spielt er nicht nur für den Verein, sondern auch für die österreichische Nationalmannschaft, für die er zwischen 1926 und 1937 43 Mal auftritt. Sein Talent macht ihn zu einem der besten europäischen Spieler der 30er Jahre und Österreichs Wunderteam zu einer der besten und spektakulärsten Mannschaften der Welt. Nachdem er im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1934 von einem italienischen Verteidiger absichtlich gefoult und verletzt wird, muss er mit ansehen, wie seine Mannschaft gegen Mussolinis Squadra Azzura verliert, die dann auch das Finale zu Hause gewinnt. Doch er verfolgt weiter seine Karriere, bis zu jenem März 1938, der zum Wendepunkt seines Lebens wird: Mit 35 Jahren erlebt er den „Anschluss“ Österreichs durch Nazi-Deutschland. Seine Nationalmannschaft existiert nicht mehr.
In diesem Zusammenhang zeigt Matthias Sindelar, dass er nicht nur ein außergewöhnlicher Fußballer ist. Zunächst bei einem von den Nazis organisierten „Versöhnungsderby“ zwischen Ex-Österreich und Deutschland. Dieses so genannte „Anschlussspiel“ ist eine abgekartete Sache: Die Begegnung soll mit 0:0 enden, um das brüderliche Verhältnis der beiden Völker zu bezeugen. Doch Matthias Sindelar sieht das anders. Im ausverkauften Wiener Praterstadion, in Anwesenheit der neuen deutschen Autoritäten, beschließt er, die viel schwächere deutsche Mannschaft mit einem Festival an Dribblings und Kunststücken lächerlich zu machen. Er geht sogar so weit, absichtlich das Tor zu verfehlen, nachdem er bereits alle deutschen Spieler ausgeschaltet hatte, um so zu zeigen, dass das Spielergebnis abgesprochen war. Dann entscheidet er sich, ermutigt durch einen Teil des Publikums, in der 70. Minute endlich ein Tor zu schießen, und feiert dies vor der konsternierten Ehrentribüne. Österreich gewinnt 2:0 und bricht damit das erzwungene Geheimabkommen.
Doch Matthias Sindelar begnügt sich nicht mit diesem symbolischen Moment: Er weigert sich, mit der deutschen Mannschaft an der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich teilzunehmen, unter dem Vorwand einer Verletzung, von der alle wissen, dass es sie nicht gibt. Deutschland scheidet kläglich in der ersten Runde gegen die Schweiz aus, ohne seinen österreichischen Star, der daraufhin öffentlich angefeindet wird. Die Drohungen gegen ihn zwingen ihn im Sommer 1938, unterzutauchen, zumal seine Partnerin eine jüdische Italienerin war. Beide werden am 23. Januar 1939 erstickt aufgefunden: Obwohl es nie eine offizielle Version des Vorgangs gab, kam sehr schnell der Verdacht auf, beide seien von der Gestapo ermordet worden. Andere Theorien gehen von Selbstmord aus. Doch Matthias Sindelar war und ist nicht in Vergessenheit geraten: An der Beerdigung des Fußballers, der Nein zu den Nazis sagte, nahmen 15.000 Menschen teil, und bis heute wird jedes Jahr am 23. Januar an seinem Grab ein Gedenkgottesdienst abgehalten.

Yvan Gastaut

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