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Die Fischer der Ile de Sein

Die Ile de Sein ist eine etwa einen halben Quadratkilometer kleine französische Insel, 7 km vor der Spitze des bretonischen Festlands im Atlantik. Dort lebten 1940 etwa 1,000 Menschen. Sie lebten hauptsächlich vom Fischfang. Trotz ihrer Abgelegenheit und des rauen Wetters spielte die Insel eine wichtige Rolle in der französischen Résistance. Im Juni 1940 schloss Marschall Pétain den Waffenstillstand mit Deutschland, was die Besetzung eines Großteils von Frankreich durch deutsche Truppen nach sich zog. Kurz darauf, am 18. Juni, rief der weitgehend unbekannte General Charles de Gaulle, der nach London geflohen war, in einer Rundfunkansprache alle Soldaten auf, sich dem von ihm geführten „Freien Frankreich“ anzuschließen und den Krieg fortzusetzen. Doch nur wenige hörten seine Rede, und noch weniger folgten seinem Aufruf.

Eine Ausnahme bildete die Ile de Sein. Nachdem de Gaulle am 22. Juni erneut in der BBC gesprochen hatte, bestiegen 127 männliche Einwohner der Insel ihre Fischerboote, überquerten den Ärmelkanal und schlossen sich dem „Freien Frankreich“ in England an, einer Bewegung, die zu diesem Zeitpunkt nur einige Hundert Menschen zählte. Als de Gaulle im Juli 1940 seine Soldaten inspizierte, bemerkte er: „Die Ile de Sein macht also ein Viertel von Frankreich aus!“

Die Bewohner der Ile de Sein zeigen ein anderes Gesicht Frankreichs als das eines gleichgültigen, kriegsmüden oder zur Kollaboration bereiten Landes. Während der größte Teil der Bevölkerung eine abwartende Haltung einnahm oder bereit war, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten, entschlossen sich die Männer der Ile de Sein für den sofortigen Widerstand. Die Nähe der Insel zu England erleichterte die Entscheidung, und die Fischer der Ile de Sein wollten sicherlich auch vermeiden, in deutsche Gefangenschaft zu geraten oder zu Diensten für die deutschen Besatzungstruppen gezwungen wu werden. Doch ihr Handeln zeugt von einer Entschlossenheit, zu der damals nur wenige Franzosen imstande waren.

Charles de Gaulle zollte der kleinen bretonischen Insel große Anerkennung. Nach Kriegsende besuchte er die Ile de Sein und verlieh der Insel und ihren Bewohnern die „Croix de la Libération“, den von ihm geschaffenen, besonders exklusiven Verdienstorden des Widerstands. Ein Denkmal in Form des Lothringerkreuzes auf der Insel erinnert an das Engagement der 127 Fischer. Bis heute nimmt die Insel einen wichtigen Platz in der französischen Erinnerungskultur ein: So begab sich Präsident Emmanuel Macron am 18. Juni 2024 auf die Ile de Sein, um an den Aufruf de Gaulles zum Widerstand zu erinnern.

 

Matthias Waechter

Quellen / Weiterführende Lektüre

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