Ist es sinnvoller, von „europäischem Widerstand“ oder von „Widerstand in Europa“ zu sprechen? Es gab definitiv keine gemeinsame europäische Widerstandsorganisation, auch wenn in dem Film „Casablanca“ von 1942 die fiktive Figur des Viktor Laszlo als Anführer einer solchen Organisation dargestellt wird. Viele Widerstandsgruppen teilten jedoch den Eindruck, Teil eines gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus in Europa zu sein, und es gab auch Bemühungen, Kontakte zwischen Widerstandsgruppen aus verschiedenen europäischen Ländern herzustellen.
Ein Beispiel dafür ist eine Reihe von sechs internationalen Treffen in Genf zwischen März und Juli 1944. Warum Genf? Die Stadt mit dem schönen See lag in der neutralen Schweiz, so dass es weniger gefährlich war, sich dort zu treffen als in einem besetzten Land, und außerdem hatten mehrere Widerstandsbewegungen dort Vertretungen eingerichtet. Die Initiative für die Treffen ging auf Altiero Spinelli und andere italienische Antifaschisten zurück, die davon überzeugt waren, dass nach dem Krieg ein demokratisches und geeintes Europa aufgebaut werden müsste. An den Treffen nahmen Vertreter von Widerstandsgruppen aus Italien, Frankreich, den Niederlanden, Jugoslawien, Norwegen, Polen, der Tschechoslowakei, Polen, Dänemark und Deutschland teil. Aus Jugoslawien war es Lazar Latinović, Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens und ein ehemaliger „Spanier„, der im französischen Widerstand gekämpft und sich dann in der Schweiz niedergelassen hatte, wo er sich aktiv um die Organisation und Koordination jugoslawische Antifaschisten kümmerte.
Die Delegierten arbeiteten in Genf an einer gemeinsamen Erklärung zu Europa, aber die Diskussionen waren nicht einfach. Einige, wie Spinelli, sprachen sich eindeutig für die Schaffung einer europäischen Föderation aus, in der die nationale Souveränität der einzelnen Staaten eingeschränkt werden sollte; dies wurde als Voraussetzung dafür angesehen, die Rückkehr von Nationalismus, Faschismus und neuen Kriegen zu verhindern. Andere waren jedoch skeptisch, darunter die Vertreter Norwegens und Jugoslawiens. In vielen Ländern stand für die Widerstandsgruppen die „nationale Befreiung“ im Vordergrund ‒ und wenn ein Land erst einmal den Besatzer losgeworden war und seine Souveränität zurückerhalten hatte, würde es nicht wirklich bereit sein, diese unter vielen Opfern zurückeroberte Souveränität aufzugeben.
Schließlich einigten sich die meisten Teilnehmer auf einen Entwurf für ein gemeinsames Dokument, die „Erklärung der europäischen Widerstandsbewegungen“. Darin wird offen dafür plädiert, „die föderale Union der europäischen Völker zu organisieren“, aber auch darauf hingewiesen, dass diese „föderale Union nicht darauf abzielen darf, das Recht eines jeden Mitgliedstaates zu untergraben, seine eigenen spezifischen Schwierigkeiten zu lösen“. Auch wenn ihre unmittelbare Resonanz begrenzt war, zeigen die Genfer Treffen und die Erklärung deutlich, dass der Widerstand während des Zweiten Weltkriegs zu der Idee beitrug, nach dem Krieg ein gemeinsames und demokratisches Europa zu schaffen, mit dem Ziel die Rückkehr von Nationalismus und Faschismus zu verhindern.
Nicolas Moll