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Françoise Frenkel, Opfer oder Widerstandskämpferin?

Im August 1945 kehrt Frymeta Frenkel, eine 56-jährige jüdische Polin, nach Nizza zurück und geht zur Präfektur, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Als Erwachsene hatte sie immer zwischen Frankreich und Deutschland gelebt, zunächst von 1914 bis 1922 in Paris, dann in Berlin. Dort gründete und leitete sie, trotz aller Widrigkeiten seit der Machtübernahme durch die Nazis 1933, bis zum Vorabend des Krieges eine französische Buchhandlung. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich zog sie zunächst nach Paris und dann im Oktober 1940 nach Nizza. Am 26. August 1942 entkam sie wie durch ein Wunder der Razzia des Vichy-Regimes gegen die Juden in der Südzone, ging in den Untergrund und stützte sich dabei auf die Solidarität von Einzelpersonen und Netzwerken. Im Juni 1943 suchte sie Zuflucht in der Schweiz und veröffentlichte 1945 in Genf Rien où poser sa tête (Nichts, wo man seinen Kopf hinlegen kann), einen packenden autobiografischen Bericht über die Verfolgung der Juden im Frankreich Pétains und über die Solidarität der Franzosen mit den Verfolgten.

Bei der Präfektur in Nizza legt sie zum Nachweis ihrer finanziellen Mittel den Vertrag mit ihrem Schweizer Verleger vor. Der Inspektor vermerkt: „Manuskript über die französische Résistance“. Im Januar 1946 schreibt sie zur Unterstützung ihres Antrags auf Einbürgerung: “Nach Frankreich zurückgekehrt, erlitt ich das Schicksal der Franzosen in der Résistance.“
Sie erinnert sich an die monatelange Verfolgung „durch die Gestapo“ in Annecy, „einer für die Résistance bedeutenden Stadt“, an ihre Rückkehr nach Nizza und „die Freude über die Befreiung“. Die Befreiung Nizzas erfolgte am 28. August 1944.

Frenkel nutzt ihr Buch als strategisches Mittel für ihre gesellschaftliche Integration. Sie hatte bereits erkannt, dass die rekonvaleszente französische Gesellschaft gegenüber den Zeugnissen von Opfern wie dem ihren taub war und den heroischen Diskurs von „uns allen, den Widerstandskämpfern“ bevorzugte. Sie gab nicht mehr Vichy, sondern den deutschen Besatzern die Schuld und identifizierte sich mit der Résistance. War der Wille zu leben und der Deportation und Shoah zu entkommen, nicht bereits ein Akt des physischen und moralischen Widerstands? Sie hat kein Buch über die „französische Résistance“ im politischen und militärischen Sinne geschrieben, sondern eine der ersten Darstellungen der Verfolgung und des „zivilen Widerstands“ (Jacques Sémelin), d. h. der Formen der gesellschaftlichen Solidarität angesichts der Unterdrückung. Frenkel wurde 1950 eingebürgert und wählte den Namen Françoise, der sie bereits seit 1945 als Künstlernamen verwandte.

 

Corine Defrance

Quellen
  • Françoise Frenkel, Rien où poser sa tête, Genève: Jeheber, 1945 (Réédition : Paris : Gallimard, 2015 ; traductions : Nichts, um sein Haupt zu betten, Munich :Hanser, 2016 ; No Place to Lay One’s Head, London: Pushkin Press, 2019).
  • Archives départementales des Alpes maritimes (Nice), dossier Frenkel, « note de l’inspecteur Sender, 1er septembre 1945 ».
  • Archives nationales (Pierrefitte), dossier de naturalisation « Françoise Frenkel » (R19780314/3), « lettre de Frenkel au ministre, 8 janvier 1946 ».
Weitere Informationen:

– Corine Defrance, Françoise Frenkel. Portrait d’une inconnue , Paris : Gallimard, 2022. – Jacques Sémelin, La survie des Juifs en France, 1940-1944, Paris : CNRS Éditions, 2018.

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