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Ein geheimnisvoller „Soldat ohne Namen“

Claude Cahun (1894-1954) und Marcel Moore (1892-1972) waren zwei Frauen, die sich in der künstlerischen Avantgarde-Bewegung zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg einen Namen gemacht hatten. Sie waren Schriftstellerinnen, Designerinnen, Schauspielerinnen, Dekorateurinnen und Fotografinnen und schufen gemeinsam zahlreiche Werke, in denen sie Fotomontage und Schrift kombinierten und die Inszenierung des Selbst durch die Motive des Doppelgängers, der Maske und des Spiegels erforschten. Sie waren auch Mitglieder der Association of Revolutionary Writers and Artists (AEAR). Sie lebten auf der britischen Insel Jersey, als diese 1940 von der deutschen Armee überfallen und besetzt wurde. Claude und Marcel beschließen Widerstand zu leisten. Aus ihrem Duo wird ein imaginäres Kollektiv.
Auf der Underwood-Schreibmaschine tippt Claude Cahun Slogans auf farbiges Papier, die Marcel Moore ins Deutsche übersetzt und mit Der Soldat ohne Namen unterzeichnet. Sie legen diese Flugblätter zwischen die Seiten von Zeitungen, stecken sie in die Taschen und Aschenbecher von Soldaten und Offizieren oder kleben sie an Windschutzscheiben. Die Idee ist originell: Sie geben sich als deutsche Soldaten aus und versuchen, die Besatzungstruppen zu demoralisieren, indem sie ihnen die Schrecken des Krieges und die drohende deutsche Niederlage vor Augen führen. Sie schreiben etwa 6.000 Flugblätter, die sie über 4 Jahre in verschiedenen Sprachen produzieren. Sie fügen absichtlich Fehler ein, die auch von deutschsprachigen Autoren hätten stammen können, um die Verwirrung zu verstärken und die Menschen glauben zu lassen, dass Deutsche hinter den Aktionen steckten und dass die Organisation international war. Mit der Vervielfältigung seiner Aktionen wollte der “Soldat ohne Namen” den Eindruck erwecken, die Bewegung sei weit verbreitet. Dies führte zu Panik und Verwirrung in der deutschen Armee, die nicht in der Lage war, diesen geisterhaften Feind zu identifizieren.
„Hitler führt uns, Goebbels spricht für uns, Göring isst für uns, Himmler mordet in unserem Namen, aber niemand stirbt für uns… Bitte verbreiten Sie diese Nachricht.“
Im Juli 1944 werden sie schließlich denunziert, wobei es der Gestapo schwer fällt, zu glauben, dass diese beiden respektabel aussehenden Frauen hinter diesen Widerstandaktionen stecken. Bei der Gerichtsverhandlung wird ihre Homosexualität zu ihren Ungunsten ausgelegt. Sie werden zum Tode und zur Zwangsarbeit verurteilt. Ironisch fragten sie, in welcher Reihenfolge die Strafen zu vollziehen seien. Schließlich werden sie in ihrer Zelle mit anderen Gefangenen vergessen und 1945 bei der Befreiung der Insel freigelassen. „Alles hat mir bewiesen, dass die antinazistische defätistische Propaganda ‒ mein literarisches Werk jener Jahre ‒ wirksam war“, schreibt Claude Cahun im August 1948 an eine Freundin.

 

Marie-Edith Agostini

Quellen /Weitere Informationen
  • Jeffrey H. Jackson, Paper Bullets: Two Artists Who Risked Their Lives to Defy the Nazis, Algonquin Books, 2020.
  • Gavin James Bower, Claude Cahun: The Soldier with No Name, Zero Books, 2013
  • Rupert Thomson, Never Anyone but You, (novel) Blackstone Audio, 2018 ; Jamais d’autre que toi, French translation by Christine le Bœuf, Actes Sud, 2019
  • Tirza True Latimer et al., Claude Cahun et ses doubles, Bibliothèque municipale de Nantes, Musée des Beaux-arts de Nantes et les Éditions MeMo, 2010

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