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Le Chambon-sur-Lignon: das Dorf der Gerechten

Im Jahr 1990 ehrte Israel die Einwohner von Le Chambon-sur-Lignon und der umliegenden Dörfer als „Gerechte unter den Völkern„. Während des Zweiten Weltkriegs haben diese französischen Dörfer auf der Hochebene des Vivarais in Südfrankreich etwa 3.500 Juden gerettet, mindestens ein Drittel davon Kinder. Die Einwohner nahmen auch andere Flüchtlinge auf. Insgesamt kamen sie mehr als 5.000 Menschen zu Hilfe, die der Verfolgung durch die deutschen und französischen Behörden zu entkommen suchten.
Als protestantische Region innerhalb des katholischen Frankreichs, mit einer langen Erfahrung von Verfolgung und Zuflucht, nahm das Gebirgsplateau schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Flüchtlinge auf: zunächst spanische Republikaner, deutsche und österreichische Nazigegner, dann Juden aus aller Welt, die in Frankreich Zuflucht gefunden hatten, und ab 1943 junge Männer, die sich weigerten, zum Arbeitsdienst nach Deutschland geschickt zu werden und von denen sich einige dem Maquis anschlossen.
Es gab zwei unterschiedliche Phasen: Die erste, von 1940 bis zum Sommer 1942, war die der „offenen“ Hilfe. Bereits am 23. Juni 1940 brachte André Trocmé, der Pfarrer von Le Chambon, seine pazifistischen Überzeugungen deutlich zum Ausdruck: „Es ist die Pflicht der Christen, sich mit den Waffen des Geistes der Gewalt zu widersetzen, die ihrem Gewissen angetan wird.“ Zu dieser Zeit lag die Region in der von der Vichy-Regierung kontrollierten „freien“ Zone, die von den Deutschen nicht besetzt war. Mit Hilfe verschiedener Organisationen wie dem Quaker Mutual Aid Committee, der Schweizerischen Kinderhilfe, Cimade, Amitié chrétienne und Œuvre de Secours aux Enfants wurden Flüchtlinge aus den Internierungslagern der Südzone auf das Plateau gebracht. Viele Kinder wurden von Familien, Hotels und Bauernhöfen aufgenommen. Die Vichy-Behörden wussten von den Aktivitäten von André Trocmé, seiner Frau Magda und Pastor Theis, und duldeten sie zunächst.
Im Sommer 1942 änderte sich die Lage. Nach der Warnung vor der Razzia am 26. August in der Südzone konnten die jüdischen Verfolgten rechtzeitig evakuiert werden. Doch von da an wurde die Hilfe für die verfolgten Flüchtlinge eine geheime Angelegenheit und mit der Besetzung der Südzone durch die Deutschen im November 1942 immer riskanter. Die Flüchtlinge wurden unter falschen Namen auf die Bauernhöfe des Plateaus verteilt. Die Einheimischen versteckten sie und versuchten, ihre Weiterreise in die Schweiz zu organisieren. Zu den Flüchtlingen gesellt sich eine wachsende Zahl von Maquisards, und auf dem Plateau wurden Vorbereitungen für bewaffneten Widerstand getroffen. Gleichzeitig verschärfte sich die Repression: Die Pfarrer Trocmé und Theis wurden im Februar 1943 verhaftet und blieben einige Wochen im Gefängnis. Am 29. Juni 1943 verhaftete die deutsche Polizei 18 Schüler in einer Schule, woraufhin fünf von ihnen, die man als Juden identifiziert hatte, nach Auschwitz deportiert wurden. Franzosen, die den Flüchtlingen geholfen hatten, wurden verhaftet und sogar hingerichtet. Die Region wurde erst Anfang September 1944 befreit.
Nach 1945 blieb die Geschichte von Le Chambon zunächst weitgehend unbekannt. Ende der 1970er Jahre kehrten ehemalige Flüchtlinge zurück, um ihre Retter zu finden und eine Gedenktafel anzubringen. Nach der Anerkennung durch Yad Vashem im Jahr 1990 besuchte Präsident Chirac 2004 das Dorf und würdigte das heldenhafte Verhalten der Einwohner während des Kriegs, und drei Jahre später wurden die Dorfeinwohner und die anderen “Gerechten Frankreichs” bei einer Zeremonie im Panthéon in Paris geehrt.

Seit 2013 erinnert eine Gedenkstätte in Le Chambon-sur-Lignon an diesen außergewöhnlichen zivilen und kollektiven Widerstand.

 

Corine Defrance

Quellen / Weitere Informationen
  • André Trocmé, Mémoires, Genève, 2020
  • Patrick Cabanel, Laurent Gervereau (dir.), La Deuxième Guerre mondiale, des terres de refuge aux musées, Saint-Agrève, 2003.
  • Peter Grose, A Good Place to Hide: How One French Community Saved Thousands Of Lives During World War II, New York, 2015.
  • “The French town that saved Jewish children during the Holocaust”, Wolrd Jewsih Congress, video, April 2020: https://www.youtube.com/watch?v=yKiod6852z0
  • “Conspiracy of Goodness: How French Protestants Saved Thousands of Jews During WWII”, Kupferberg Holocaust Center, videos with testimonies of time-witnesses: https://khc.qcc.cuny.edu/goodness/videos/
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“The French town that saved Jewish children during the Holocaust”, Wolrd Jewsih Congress, April 2020

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