Nazad
Lager Organisation von Widerstand Transnationaler Widerstand

Ausbruch aus dem Gefängnis von Castres

In der Nacht vom 16. auf den 17. September 1943 ereignete sich in der kleinen Stadt Castres im Südwesten Frankreichs ein spektakulärer Vorgang. Aus einem stark gesicherten Festungsgefängnis entkam eine internationale Gruppe von 34 Häftlingen. Hauptorganisatoren dieses Ausbruchs waren vier jugoslawische Kommunisten und Veteranen der Internationalen Brigaden aus Spanien: Ljubomir Ilić, Vlajko Begović, Guido Nonveiller und Milan Kalafatić.
Der größte Teil der entflohenen Gefangenen waren internationale Freiwillige, die am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen hatten. Nach der Niederlage der Spanischen Republik im Jahr 1939 waren sie über die Pyrenäen nach Frankreich gelangt, wo die Behörden sie als „gefährliche Ausländer“ in Konzentrationslagern interniert hatten. Eines dieser Lager befand sich in Le Vernet, und von dort wurde eine Gruppe vor allem von Kommunisten später in das Gefängnis von Castres verlegt. Zu den entflohenen Häftlingen gehörte auch eine kleinere Gruppe, die von den kommunistischen Gefangenen „die Alliierten“ genannt wurde. Zu ihr gehörten französische Widerstandskämpfer und mehrere britische Piloten, deren Flugzeug abgeschossen worden war und die gefangen genommen worden waren, dann aber von den Vichy-Behörden vor den Deutschen versteckt wurden. In der Tat war das Gefängnis in Castres ein gut gehütetes Geheimnis des Vichy-Regimes. Die offizielle Adresse der Häftlinge war nach wie vor das Lager Vernet.
Die Gefangenen wurden in strenger Isolation gehalten, aber nicht misshandelt. Als jedoch ein deutscher Kommunist abgeführt und der Gestapo übergeben wurde, beschlossen die kommunistischen Häftlinge, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Nach jahrelanger Internierung und aufgrund ihrer schwachen körperlichen Verfassung mussten sie ihren Ausbruchsplan besonders sorgfältig vorbereiten. Zunächst sicherte sich die Gruppe die Unterstützung der nicht-kommunistischen Häftlinge. Danach studierten sie sehr genau die inneren Abläufe des Gefängnisses und versuchten, die Wärter für sich einzunehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen: Sie warteten nur darauf, dass der Krieg zu Ende ginge, sagten sie oft.
Ein wichtiger Schritt war, dass es Nonveiller beim Briefwechsel mit einer angeblichen „Tante“, Frau Podvoletzky aus St. Claude ‒ eine Unterstützerin der internierten Interbrigadisten ‒ gelang, verschlüsselte Nachrichten an sie zu übermitteln. Über diesen Kanal gelang es der Gruppe, sich die Unterstützung der Widerstandsbewegung FTP-MOI und ihres Netzwerks in Castres zu sichern. Frau Podvoletzky schickte sogar eine kleine Landkarte der Umgebung von Castres, die in einer Bohne versteckt war. Schließlich überwältigten die Häftlinge in einer Nacht einen nach dem anderen die Wärter bei ihrem Schichtwechsel, sperrten sie ein, zogen sich Zivilkleidung an und verliessen das Gefängnis, woraufhin sie sich zu ihrem örtlichen Kontaktmann begaben, einen eingewanderten italienischen Schuhmacher. Bei ihm verbrachten sie ihre erste Nacht in Freiheit, bevor sie Richtung Toulouse weiterzogen…
Die vier jugoslawischen Veteranen des spanischen Bürgerkriegs übernahmen in den nächsten Monaten führende Positionen in der FTP-MOI. Ilić wurde ihr Kommandeur für die „Süd-Zone“ Frankreichs. Begović wurde politischer Kommissar, und arbeitete auch mit bewaffneten Widerstandsgruppen in Marseille und Lyon zusammen. Nonveiller war der interregionale Kommandeur für Saint-Etienne und wurde später technischer Leiter der FTP-MOI in der „Süd-Zone“. Kalafatić wiederum wurde einer der Befehlshaber des internationalen Maquis um Toulouse.

 

Vladan Vukliš

Quellen
  • Vlajko Begović, “Bekstvo iz zatvora Kastre”, in: Španija 1936–1939, ed. Čedo Kapor (Beograd: Vojno–izdavački zavod, 1971), IV, pp. 206–231.
  • Guido Nonveiller, Sećanja jednog građanina dvadesetog stoleća, I (Beograd: Nadežda Nonveiller, 2004).
Weitere Informationen:
  • Jonny Granzow, 16 septembre 1943, l’évasion de la prison de Castres (Villemur–sur–Tarn: Editions Loubatières, 2009).
  • Olga Manojlović–Pintar, “Jugoslovenski interbrigadisti u Francuskoj tokom Drugog svetskog rata”, in: Transnacionalna iskustva jugoslovenske istorije, II (Beograd: INIS, 2019) (Cyrillic), pp. 123–152.
  • Vladan Vukliš, “Brigadistas, Maquis, Partisans: Yugoslav Veterans of the Spanish Civil War in European Resistance Movements”, in: Wer ist Walter? International Perspectives on Resistance in Europe during World War II , ed. Elma Hašimbegović, Nicolas Moll and Ivo Pejaković, Sarajevo 2024

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