Nazad
Bewaffneter Widerstand Erinnerung Kultur und Kunst

Eine befreiende Ohrfeige

In dem Film „Walter verteidigt Sarajewo“ schildert eine Szene einen raffinierten Trick: Der Widerstandskämpfer Walter hat sich eine deutsche Offiziers-Uniform besorgt und mit dieser bekleidet betritt er mit einem bewaffneten Helfer einen Gleisweichen-Außenposten der Eisenbahn bei Sarajevo. Dort wird der Weichensteller von zwei Polizeibeamten festgehalten. Ersterer ist ein kommunistischer Spitzel, den Walter befreien will. Walter behauptet, dass es sich bei dem Weichensteller um einen Verdächtigen handelt, den er schon lange sucht, ohrfeigt ihn und teilt den beiden Polizeibeamten mit, dass er ihn in Gewahrsam nehmen würde. Die beiden Polizisten sind skeptisch, daraufhin warten Walter und sein Helfer eine vorbeifahrende Lokomotive ab und nutzen deren ohrenbetäubenden Lärm, um mit ihrem Maschinengewehr die Polizisten zu töten und den Weichensteller zu befreien.
Das Kino hat sich oft von wahren Geschichten inspirieren lassen. Eine ähnliche Situation mit einer simulierten und rettenden Ohrfeige erlebte Aleksandar Mezić. Er und seine Frau Dobrila Šiljak meldeten sich während des Spanischen Bürgerkriegs als Ärzte bei den Internationalen Brigaden ; nach der der Niederlage der spanischen Republikaner kamen sie 1939 nach Frankreich, wo sie der Internierung durch die französischen Behörden entgingen, und ließen sich in Marseille nieder. Zu ihnen gesellte sich bald Dimitrije Koturović, ein ehemaliger „Spanier“ [Link zur Geschichte 69] und Metallarbeiter aus Rakovica (Serbien), der mit Hilfe des jugoslawischen Konsulats vom Arbeitsdienst befreit wurde. Er engagierte sich in der französischen Résistance und wurde bald als „Kommandant Cot“ bekannt, der „überregionale“ technische Leiter der Widerstandsbewegung FTP-MOI. Ab Ende 1942 organisierte Koturović mehrere erfolgreiche Attentate auf deutsche Militäranlagen. Nach einer Reihe von Verhaftungen war er 1943 auch maßgeblich am Wiederaufbau bewaffneter Gruppen in Var und Alpes-Maritimes beteiligt, wo er mehrere armenische und bulgarische Kommunisten anführte.
Aleksandar Mezić erinnert sich, wie er eines Tages in einer Marseiller Straße auf dem Rückweg von einer medizinischen Untersuchung in eine Polizeirazzia geriet. Zusammen mit anderen festgenommenen Personen musste er vor einer Wand verharren. „Plötzlich“, schreibt er, „glaubte ich, zehn Meter vor mir Cot zu sehen.“ Er glaubte, infolge langer Schlaflosigkeit zu halluzinieren, doch Koturović war tatsächlich da, „mit seinem Hut in Agentenmanier und einer Waffe und Handschellen, die unter seinem Mantel hervorlugten.“ Cot gab sich als deutscher Polizeiagent aus und begab sich in das Getümmel. Er ging auf Mezić zu und rief ein paar deutsche Worte: „Schwein, Kommunist, Bandit… jetzt habe ich dich… vorwärts! “ Er gab ihm eine Ohrfeige und führte ihn ab. Die ahnungslosen französischen Polizisten, die die Razzia durchführten, lachten über die Szene und gingen ihrer Arbeit nach. Mezić war frei.
Koturović starb im April 1944 in Marseille beim Entschärfen einer Bombe in seiner Werkstatt. Ihm zu Ehren wurde an diesem Ort eine Gedenktafel angebracht, von den „Freunden der FTPF“. „Er starb, damit Frankreich leben konnte“, heißt es auf der Inschrift.

 

Vladan Vukliš

Quellen
  • Aleksandar Mezić, “Marselj,” in: Španija 1936–1939, ed. Čedo Kapor (Beograd: Vojnoizdavački zavod, 1971), IV, 482–511.
  • Grégoire Georges–Picot, L’innocence et la ruse: des étrangers dans la Résistance en Provence (Paris: Tirésias, 2000).
  • David Coquille, “Dimitri Koturovic, héros serbe des FTP–MOI tombé dans l’oubli,” in: La Marseillaise, 18 Septembre 2016.
Weitere Informationen
  • Otmar Kreačić, “Dimitrije Koturović Kot,” in: Španija 1936–1939, ed. Čedo Kapor (Beograd: Vojnoizdavački zavod, 1971), V, 116–119.
  • “Dokumenti i vreme: Komandant Kot (Dimitrije Koturović),” documentary film by Milutin Stanišić (Beograd: RTV Beograd, 1968).
  • Stéphane Courtois, Denis Peschanski, Adam Rayski, Le sang de l’étranger. Les immigrés de la MOI dans la résistance (Paris: Librairie Arthème Fayard, 1989).
  • Denis Peschanski, Des étrangers dans la Résistance (Paris: Atelier, 2002).

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